Aus: „Sekten – Die neuen Heilsbringer“, Ein Handbuch,
von Heide-Marie Cammans, Düsseldorf 1998, S. 97-111

University-Bible-Fellowship

Eines kann ich zu meiner Arbeit mit Sekten und Kulten auf jeden Fall sagen – sie wird nie langweilig! Die Spanne zwischen den Extremen erweitert sich ständig, die Praktiken der Bewegungen bringen neben den altbewährten Methoden laufend Neues hervor, so wie auch die einzelnen Kulte verstehen, ihr Outfit bei Bedarf chamäleonhaft zu verändern. Der Berater kommt eigentlich aus dem Staunen und dem Lernen nicht heraus. Seine Arbeit unterliegt deshalb dem Anspruch der großen Behutsamkeit. So sind Zuordnungen jeweils nur nach genauer Prüfung vorzunehmen. Wenn dies nicht geschieht, könnte z.B. die „University-Bible-Fellowship“ (deutsch: „Universitäts-Bibel-Freundschaft“, abgekürzt UBF) auf den ersten Blick mit der Vereinigungskirche des Koreaners San Myung Mun verwechselt werden.

Ein wenig wird der Leser inzwischen schon gespürt haben, wie vielfältig die neuen Heilsangebote zu Markte gebracht werden, wenn auch bei der Vorstellung einiger Bewegungen bis hierhin nur aus dem Spektrum der pseudo- oder quasichristlichen Bewegungen exemplarisch ausgewählt wurde.

Um das Bild von der Wirklichkeit der Szene genau zu zeichnen, muß noch eine andere Facette ausgefaltet werden, die sehr zur Beachtung empfohlen ist. Es sind dies Bewegungen mit durchaus nachprüfbar christlicher Lehre, jedoch extrem-fundamentalistischer Prägung. Oder anders gesagt: Es braucht kein Wort an der Predigt solcher Bewegungen falsch sein, nur die Anwendung des Wortes ist zu hinterfragen. Die Einschätzung solcher Gruppierungen ist folglich schwieriger und wird sehr unterschiedlich gehandhabt.

Ein Beispiel dafür ist die bei uns allgemein noch relativ unbekannte „University-Bible-Fellowship“, in Deutschland auch „Universitäts-Bibel-Freundschaft“ genannt. Auf der einen Seite wird sie als „evangelikale“ Gruppierung eingeschätzt, mit der man in ein brüderliches Verhältnis treten kann, auf der anderen Seite wird sie den sogenannten destruktiven Kulten zugerechnet. Es hängt vom Standort des Betrachters ab, welche Sichtmöglichkeit er auf eine bestimmte Bewegung hat, und es empfiehlt sich von daher unbedingt, aus allen möglichen Blickwinkeln heraus zu einem umfassenden Bild zu kommen und nur so seine Meinung zu bilden.

Lassen wir uns helfen:

Jutta sitzt bei mir im Beratungszimmer. Ihr Bruder, Student in höherem Semester, ist Mitglied der UBF. Die junge Frau bittet um Hilfe: „Mein Bruder ist nicht mehr er selbst … Er hat sich total verändert, eine Mauer steht zwischen uns. Wir können kein vernünftiges Gespräch mehr führen. Alle Hobbys hat er aufgegeben, auch seine Freunde verstehen ihn nicht mehr. Er kommt sehr selten nach Hause und spricht unentwegt in Bibelversen. Er wirkt gehetzt, ängstlich und gequält…“ Jutta fragt ob UBF eine Sekte sei. Ich gebe Auskunft.

Was ist UBF?

Die Bewegung entstand etwa um 1961 in Südkorea durch (Samuel) Chang Woo Lee und Sarah Barry, die der Southern Presbyterian Church (USA) angehörten. Beide erkannten – wie es von der Bewegung angegeben wird – unter dem Eindruck großer Studentenunruhen die geistliche Not gerade der studentischen Jugend … und richteten an der Universität Bibelkurse ein. Die damit entstandene Organisation wuchs rasch. Nach den Zeiten des Aufbaus gab es Differenzen zwischen der UBF und verschiedenen evangelikalen Organisationen. Viele protestantische Kirchen Koreas stehen UBF kritisch gegenüber. Beim antiökumenisch orientierten Internationalen Rat Christlicher Kirchen (ICCC) findet diese Organisation jedoch Unterstützung.

Das Zentrum der UBF befindet sich in Chicago/USA. Von dort leitet Chang Woo Lee (geb. 1931) die international aktive Gruppierung. Weltweit soll es 55 Zentren geben. In der BRD ist UBF in nahezu allen Universitätsstädten vertreten. 450 Mitarbeiter arbeiten angeblich in zwanzig Ländern und widmen sich hauptsächlich der Hochschulevangelisation. Das europäische Zentrum der UBF befindet sich in Köln. Leiter ist Abraham Lee, geb. 15.6.1949 in Chung Nam, Korea. Lee studierte zunächst Biologie in Seoul, absolvierte ein theologisches Fernstudium und wurde von einer der vielen presbyterianischen Kirchen Koreas zum Pastor ordiniert. A. Lee ist seit 1978 Leiter der UBF in der BRD.

Lehre und Praxis

Von der theologischen Auffassung, dem Gemeinschaftsleben und der Glaubenspraxis her ist UBF der „Shepherding/Discipleship-Bewegung“ (am besten zu übersetzen mit „Hirten-Jüngerschaft“-Bewegung) zuzurechnen, die eine spezielle Menschenführungsmethode anwendet: Das Hirte-Schaf-Prinzip. Ehemalige Anhänger sagen dazu: „Du mußt wie ein stummes Schaf sein und blind folgen.“ Wie ein roter Faden zieht sich diese Methode durch das Gemeinschaftsleben und die Glaubenspraxis der UBF. Schon im fundamentalistisch-biblizistisch geprägten Zweierbibelstudium („Eins-zu-eins“-Prinzip) beginnt die Unterordnung. Diese äußert sich in der einmal wöchentlich zu leistenden – alle Lebensbereiche umfassenden – Pflichtübung des „Sogams“ (= persönliche Stellungnahme mit Bußcharakter; der einzelne bringt zum Ausdruck, was der Bibeltext für ihn bedeutet, und legt ein Bekenntnis ab, was er Gott schuldig geblieben ist) und findet sich wieder in den diversen Forderungen der Missionare an die Hirten, Hirtenkandidaten bzw. Schafe.

Das Bibelstudium wird einmal wöchentlich im „Eins-zu-eins“-Unterricht (Hirte-Schaf) durchgeführt. Dabei werden Bibelabschnitte anhand eines Fragebogens mit vorgegebenen Fragen bearbeitet. Die einzelnen Lektionen dauern jeweils anderthalb Stunden und müssen vor- und nachbereitet werden. Mehrmals wöchentlich finden Bibelabende statt.

Die Mitglieder haben täglich die Bibel zu lesen und dabei die Bibellesehilfe „Tägliches Brot“ zu benutzen. „Tägliches Brot“ wird dreimonatlich herausgegeben und ist so konzipiert, daß man in vier Jahren alle 66 Bücher der Bibel studieren kann. Zu Ostern, Pfingsten, im Sommer und zur Weihnachtszeit werden sogenannte Bibelfreizeiten (Konferenzen) sowie darüber hinaus spezielle Bibelwochen durchgeführt.

Die Missionierung einer Universität beginnt mit der „Pionierung“. Dazu werden Hirten und Missionare oft einzeln ausgesandt. Das Ziel ist, ein „Glaubensstammvater“ für die jeweilige Uni oder das Missionsland zu werden. Die Finanzierung geschieht durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. –

S. wurde in seinem Zimmer im Studentenwohnheim von einem Missionar der UBF besucht und missioniert. Er wurde Mitglied der Bewegung. Nach Jahren der Zugehörigkeit schafft er jedoch mit Unterstützung seiner Angehörigen den Ausstieg. Seine Mutter gibt nach seinem Verlassen der Sekte folgendes „Kummerprotokoll“, wie sie es nennt:

„Obwohl ich als Mutter eines Betroffenen beim Sammeln meiner Gedanken für diesen Bericht deutlich merke, wie sehr mich auch noch im nachhinein alles berührt und belastet, möchte ich dennoch dazu beitragen, Licht ins ‚Dunkle‘ zu bringen. Denn dieses ‚Dunkle‘ war es, was es überhaupt ermöglicht hat, daß unser Sohn in die Hände von UBF geriet.

Vielleicht einige Gedanken vorab:

Unser Sohn ist ein hochsensibler, intelligenter Junge, der mit allen Vorzügen ausgestattet ist, auf die Eltern stolz sein können, der stets das Beste will und mit Ausdauer und Einsatzbereitschaft dies zu verwirklichen versucht und der vielleicht über ein Übermaß an Leidens- und Opferbereitschaft verfügt, mit hohen moralischen und ethischen Grundansprüchen, immer auf der Suche nach dem Wahren und Echten.

Dieser Vorspann ist nicht dazu da, um unsern Sohn zu loben, sondern um aufmerksam zu machen auf eventuelle Parallelen!

Seinen Anspruch an sich selbst überträgt er auch auf andere, so z.B. bei der Suche nach Freunden. Da liegt es in der Natur der Sache, daß er diese nicht scharenweise findet. Durch seine stark introvertierte Art fällt es ihm dazu nicht leicht, selbst auf andere Menschen zuzugehen; er hat aber schon in Schulzeiten mit Instinkt streng sortiert bei denen, die von sich aus auf ihn zukamen.

Vielleicht noch dieses:

Wir sind und entstammen einer Familie, die – wie ich glaube – Glauben lebt, kaum Worte darum macht, wir fühlen uns in göttlicher Geborgenheit, empfinden dies als Fels, auf dem wir stehen, als Schutzschild und als Wegweiser bei Entscheidungen. Wir haben ein vertrauensvolles liebevolles Verhältnis zueinander und können recht gut miteinander reden. Man ist füreinander da. Durch häufige Umzüge in immer wieder andere Städte haben wir nie in einer ‚Gemeinde‘ Fuß gefaßt. Aber nicht nur deshalb: Immer wieder haben wir uns die verschiedensten Predigten ‚zugemutet‘, auf der Suche nach ‚Inhalt‘, nach Stärkung und Bestärkung – es waren ausnahmslos immer wieder Enttäuschungen, so daß man traurig werden kann. Es blieb lediglich ein fahler Geschmack, ein hohles Gefühl zurück. Dies kann ruhig als Vorwurf gegen unsere Kirchen angesehen werden.

Solch ein junger Mensch beginnt dann in einer fremden Studienstadt sein Studium, ist dort ohne Ansprechpartner, alles ist neu. Das Wohnen im Studentenheim kann einem das Alleinsein noch deutlicher werden lassen: Es gibt zwar viele Kontakte, es wird viel geredet, aber wenig gesprochen, vor allem wird viel geraucht und getrunken, Rücksicht auf andere ist für viele ein Fremdwort. Enttäuschung über unsere &sbquot;Elite‘ macht sich breit, die hier eben nicht – wie vielleicht so manch einer meint – etagenweise übereinandergestapelt ist. So suchte mein Sohn also nach ‚seinen Leuten‘. Sein Weg führte dabei über die evangelische und katholische Studentengemeinde, über die verschiedensten evangelischen Gemeinden der Stadt; er schnupperte in kirchliche Abspaltungen hinein, ja ließ sogar Informationsabende von studentischen Verbindungen nicht aus – immer offen für alles –, zusätzlich ermuntert durch mich, auf der Suche nach passenden Menschen nicht locker zu lassen. Dabei das Zurechtfinden im Studienablauf, geprägt vom Ehrgeiz, nicht unnötige Zeit zu verlieren: eine schwierige Zeit für jeden Studienanfänger, die sicher auch begleitet ist von seelischen Tiefs.

Was paßt also besser, als wenn in diese Stimmung hinein ein ‚älteres Semester‘ an die Zimmertüre klopft, freundlich lächelnd (dieses freundliche Lächeln entpuppte sich später als stereotypes Dauergrinsen), Hilfe anbietend und äußerst vertrauenserweckend, dabei unmerklich die ‚Lage‘ abcheckend in puncto Glauben und Bibel. Die freundliche Einladung zum Abendbrot wirkt dann wie ein zusätzlicher warmer Regen auf die Seele. Darauf folgt das Angebot, Bibelarbeit im Zweiergespräch zu machen. Dieses Engagement verblüfft und schmeichelt einem zugleich, fühlt man sich doch dadurch ernst und wichtig genommen. Wer ahnt dann schon, daß dies nicht christliche Menschenpflicht, sondern der erste Schritt einer unerbittlich verfolgten Strategie ist, die überall, wo UBF auftaucht, angewandt wird und letztlich nichts anderes zum Ziel hat als die Verherrlichung und Ausübung menschlicher Macht, ein fundamentalistischer Grundgedanke.

Mein Sohn erzählte davon zu Hause, ohne zunächst einen Namen der Organisation zu nennen, der mir ohnehin nichts gesagt hätte. Er berichtete von dieser ‚internationalen Studentengemeinde‘, und daß sie zur Evangelischen Allianz gehöre. Und hier setzt der Punkt an, wo ich beginne, mich fast zu schämen! Denn ‚international‘ paßte sowieso in unser aufgeschlossenes Weltbild, und bei der ‚Evangelischen Allianz‘ dachte ich beruhigt an ‚harmlos‘ und ‚gut aufgehoben‘, mehr ‚evangelisch‘ als ‚Allianz‘ im Ohr habend. Ich lehnte mich sozusagen innerlich beruhigt zurück, allerdings immer wieder etwas stutzig über das überdimensionale Engagement dieser Leute, die, wie ich erst im Laufe der Zeit erfuhr, zum allergrößten Teil aus Koreanern zusammengesetzt sind. Aber als toleranter Mensch ging bei mir nicht die geringste ‚Risikolampe‘ an. Im Gegenteil, ich hörte immer wieder von der Freundlichkeit dieser Leute. Die Treffen wurden dann sehr schnell regelmäßig, meist in der bereits bestehenden Familie des ‚Hirten‘, der die Aufgabe hat, neue ‚Schafe‘ zu suchen – und vor allem bei der Stange zu halten. Denn der Verlauf einer jeden diesbezüglichen Aktion wird von Herrn Abraham Lee, dem Oberhaupt dieser Organisation in Deutschland, strengstens überwacht. Bis hierhin könnte man ja noch immer sagen: ‚Na und?‘

Die Treffen waren sonntags nachmittags um 15 Uhr, für einen nach Hause fahrenden Studenten immer ein Zeitproblem und ein Hin- und Hergerissensein zwischen Familie, Freunden und diesen neuen Verpflichtungen. Ja, für einen zuverlässigen Menschen waren dies Verpflichtungen! Dieses war aber nur der Beginn einer schrecklichen Zerrissenheit. Denn die Treffen wurden immer häufiger, schleichend zwar, aber zum Schluß täglich, dann täglich mehrmals, das erste morgens in der Frühe um 6 Uhr!! Entschuldigung wegen Klausur, Lernen, Familie oder Kranksein galt nicht, wurde in so ungeheuer geschickter Weise als nicht rechtes Glauben ausgelegt, und daß Satan am Werk sei, so daß man sich noch mehr in alles vertiefen müsse. Es wurde versucht, die Familie zu ‚testen‘, ob sie zu geeigneten Schafen gemacht werden könne: Unsere zwei Jahre jüngere Tochter kam aber von einer solchen Veranstaltung, wo sich mehrere Gruppen aus verschiedenen Städten trafen – ich bat sie aus völliger Unkenntnis sogar, mitzugehen, letztlich auch ihrem Bruder zuliebe –, völlig verstört zurück und beschwor mich unter Tränen, nie wieder damit konfrontiert werden zu wollen. Dies war im absoluten Frühstadium, so daß ich dies mit der ohnehin unterschiedlichen Struktur unserer Kinder abtat.

Bei vielem, was unser Sohn von allen diesen Dingen erzählte, sträubte sich etwas in mir. Vieles schien mir übertrieben, einseitig, so aus dem Zusammenhang gerissen, ohne das Ganze dabei zu sehen. Ich hatte ganz einfach ein ungutes Gefühl im Bauch, ohne es wirklich konkretisieren zu können. Ich habe ihn dies immer wissen lassen, immer gesagt, was ich dabei empfinde und darüber denke. Ich wollte ihm nichts kaputtmachen, sah ich doch, mit welcher Ernsthaftigkeit er dabei war, und so habe ich dies in verhaltener, aber doch deutlicher Weise getan. Was mich am meisten besorgte, war, mit anzusehen, daß er nicht mehr lachen konnte, keine Freude mehr empfand, ohne Emotionen war. Für mich war die Vorstellung, Christ zu sein, immer mit einer Form von Gelassenheit verbunden, die zu innerer Fröhlichkeit und Heiterkeit führt, die einen frei macht von Schuld und einem Kraft gibt, angstfrei die Dinge des Lebens anzupacken, sozusagen als ein Schutzschild vor menschlicher Bedrohung. Aber diese Vorstellung paßt nicht in die Machterweiterung der UBF-Idee! Ich lernte den koreanischen Missionar, später auch seine Frau, kurz kennen. Die Gefahr wird verstärkt, daß man vieles, was man nicht versteht, auf die fremde asiatische Art schiebt und auch auf Sprachprobleme, die erheblich sind. Man ist geneigt, sich von der demonstrierten ‚Selbstlosigkeit‘ beeindrucken zu lassen. Ja, es kommt sogar ein Gefühl auf, ihnen helfen zu wollen. Andererseits spürte ich bei dieser Begegnung solch starken inneren Widerstand, noch heute sträubt sich alles. Besonders die Begegnung mit der Frau des Missionars habe ich als bisher nicht gekanntes Ereignis in Erinnerung: Ich fühlte mich anschließend so, als hätte jemand mit mir den Versuch einer negativen Suggestion unternommen, ein Gefühl der Bedrohung, wie in einen Bann geraten. Ich hatte über drei Wochen intensive innere Arbeit zu leisten, um mich davon zu befreien. Nur hatte ich ja auch die Möglichkeit, alles zu relativieren, weil ich nicht täglich ihrem permanenten Einfluß ausgesetzt war. Auch von diesem äußerlich nicht sichtbaren Ereignis berichtete ich meinem Sohn, auch, daß es schwierig für mich war, damit umzugehen, und daß nur der eine dringende Wunsch bestand, mich gründlich diesen Leuten zu verschließen und jeden Einfluß zu verwehren. Er kannte diese Gefühle von sich selbst und hat durch unseren doch immer wieder stattfindenden Dialog Bestätigung und auch Klarheit über innere Empfindungen und eigene Kritikfähigkeit bekommen.

Da unsere Familie ja nun ‚ungeeignet‘ für weitere Missionierung war, war die Trennung vorprogrammiert. Nur hat UBF übersehen, daß bei ihrem ‚Schaf‘ (das inzwischen sogar ein ‚Hirte‘ geworden war) ein Restzweifel nie hat ganz ausgeräumt werden können, nicht zuletzt wohl auch wegen des fortbestehenden Dialogs zu Hause, den UBF ja am liebsten ganz ausgeschaltet hätte. Trotzdem war mein Sohn soweit, daß er die typische monotone UBF-Ausdrucksweise annahm und sich zunehmend kaum noch in eigenen Sätzen ausdrückte, sondern vorwiegend mit Bibelversen antwortete. Der UBF-Zeitplan war so straff gespannt, daß ein Umsehen bei andern Menschen oder in anderen Kreisen unmöglich war. Es fand außerdem fast so etwas wie eine Bewachung statt, dazu kamen die reduzierten körperlichen Kräfte. Allem wurde, wie oben geschildert, entgegnet, mit ungeheuren Schuldgefühlen entgegengesteuert. Unser Sohn kam immer seltener nach Hause, was man – nichts Gefährliches ahnend – natürlich auch auf eine normale Entwicklung und immer stärkeres Engagement im Studium zurückführte. Ich merkte kaum, wie die Zeit verging, zumal da ich selber berufstätig war. Unser Sohn, der immer ein gesunder ‚Herkules‘ war, wurde immer blasser und schmaler, sah fast kränklich aus, war völlig übermüdet und entkräftet, aß ohne Appetit. In den schönsten Lieblingsspeisen wurde lustlos herumgestochert. Die einst hervorragenden Zensuren wurden allmählich schlechter – kein Wunder! Es wundert mich höchstens, daß er überhaupt noch überall glatt durchgekommen ist. Daß bei UBF-Leuten kaum Abschlüsse gemacht werden, weil sie zu Höherem berufen sind, nämlich Missionieren in aller Welt, das weiß ich erst heute.

Ich bin einer anderen Mutter aus tiefster Seele dankbar, die das I-Tüpfelchen zu meinem diffusen „Bauchgefühl‘ geliefert und mich aus meinem Dämmerschlaf gerissen hat. Es ist die Mutter eines Freundes meines Sohnes. Wegen einer anderen persönlichen Problematik stieß sie auf eine Darstellung von UBF, dieser koreanischen Vereinigung. Bei „koreanisch‘ erinnerte sie sich an Erzählungen von einer studentischen Gruppe und an meinen Sohn. Dazu muß ich sagen, daß sowohl mein Sohn als auch ich bis dahin vergeblich versucht hatten, irgendwo etwas über Sekten und deren Inhalte zu bekommen, wobei bei UBF selbst hartnäckig bestritten wird, daß es sich um eine Sekte handelt. Eines Tages rief mich die Frau nach einigem Zögern an, ob sie mir diese Information zukommen lassen solle. Sie tat es. Ich kann hier kaum in Worten wiedergeben, mit welchem Donnerschlag plötzlich meine diffusen Gefühle echte Gestalt annahmen, dieses bisher für mich Ungreifbare bestätigt wurde. Mit welcher Klarheit sah ich plötzlich die grauenvolle Persönlichkeitsveränderung meines Sohnes und bat Gott, ihn von dieser Fessel, diesem Irrtum zu befreien. Ich sah meinen Sohn nur noch selten, dann immer zwischen Kochtopf und Waschmaschine rotierend, da ja die Zeit aufs äußerste beschränkt war. Ich lotete am Telefon den Ist-Zustand aus, um nichts ungeschickt kaputtzuschlagen, denn auf welche Gratwanderung man sich einläßt bei einem solchen Vorhaben, war mir sonnenklar. Genauso sonnenklar war mir, daß ich alles daransetzen würde und mußte, um meinem Sohn zu helfen. Ich kam mir plötzlich vor wie eine Raubtiermutter, die ihre Jungen gegen Angriff von außen verteidigt und dabei alle ihr zur Verfügung stehenden Energien freisetzt. Ich sammelte Informationen, soviel ich konnte, über das gesamte Sektenumfeld, las wochenlang und nächtelang, reiste zum Studentenpfarrer an den Studienort meines Sohnes, um mir über eventuelle Alternativen klarzuwerden. Um allem ein bißchen die Schärfe zu nehmen, stellte ich mir vor, ich sei die Suchende, versuchte, es auch als Chance für mich zu sehen. Bei allen diesen Bemühungen erfuhr ich eine immer deutlicher werdende Bestätigung dessen, was zu tun war. Diese Manipulation mit dem Mittel Angst und Schuld macht auf Dauer aus jedem Menschen ein verfügbares Instrument.

Erst als ich mir selbst ganz klar war über alle Konsequenzen, öffnete ich mich mit allem Wissen und allen damit verbundenen Gefühlen meinem Sohn, dessen Rettung sein Restzweifel war. Er brauchte so dringend diesen Ruck von außen! Er war innerlich schon oft vor dem Absprung gewesen, wie er sagte, aber UBF hätte es eigentlich unmöglich gemacht. Dabei drängt sich einem wieder die Frage auf, was daran biblisch und christlich ist. Er hat sich dann sehr schnell dem entsprechenden Gespräch dort unterzogen und sich von UBF gelöst. Er hat sich lange über die richtige Diplomatie Gedanken gemacht, um das Übel für alle so gering wie möglich zu halten. Lange wurde er danach immer wieder besucht, eingeladen, immer wieder konfrontiert, trotz absoluter Klarstellung der Dinge. Selbst die Geschenketaktik wurde eine Zeitlang weitergeführt, so als hätte man nichts vernommen. Gekochtes Essen im Kühlschrank als Überraschung, wenn man heimkommt, war eine beliebte Masche. Als anständiger Kerl will man solche ‚netten‘ Menschen ja auch nicht vor den Kopf stoßen, sie nicht verletzen. Man muß fast eine Portion Frechheit an den Tag legen, um sich dem immer wieder neu gespannten Netz zu entziehen, und es sind dazu dringend Menschen nötig, die dabei helfen. Diese Hilfe bekamen wir durch das Sekten-Info in Essen. Heute kann ich abschließend sagen, daß unser Sohn diese Zeit ohne Schaden überwunden hat und daß er eine gute lebbare Alternative in einer ganz normalen evangelischen Kirche gefunden hat, die nicht manipuliert und nicht Zwänge ausübt. Ich könnte noch so vieles darüber sagen, denke aber, daß über UBF inzwischen genügend Informationsmaterial zur Verfügung steht. Ich wollte hiermit vor allem deutlich machen, wie es überhaupt möglich ist, in solche Fänge zu gelangen, und daß die beste Vorbeugung gute Information ist. Mit guter Information ist ein Signal schneller und besser zu deuten als mit unguten Bauchgefühlen. Und ist es einmal ‚passiert‘, möchte ich hiermit eindringlich Mut machen, alle Kraft aufzuwenden, sich von UBF zu lösen und dabei zu helfen. Es lohnt sich, wieder ein freier Mensch zu sein mit freier Entscheidung und eigenem Gewissen. Es ist unbiblisch und sicher nicht gottgewollt, daß Menschen über uns Macht haben. Was anderes ist es bei UBF?“

Auch Thomas, der Bruder von Jutta, (siehe oben), hat sich inzwischen von UBF distanziert. Er schreibt:

„Ich habe viel Schönes, aber auch Schreckliches erlebt, wodurch ich veranlaßt war, die UBF zu verlassen.

Mein Studium ging langsam, aber sicher dem Ende entgegen, und ich mußte mich auf die Abschlußprüfungen vorbereiten. In dieser Zeit kamen viele Veränderungen auf mich zu: Mein bester Freund, mit dem ich über fast alles vertraulich sprechen konnte, war seit einiger Zeit in eine andere Stadt gezogen, so daß unser Kontakt auf das Schreiben von Briefen beschränkt war. Ich selbst wohnte erst seit kurzem in einer neuen Umgebung, in der ich erst einmal Anschluß zu den anderen finden mußte. In dieser Zeit fehlten mir tragfähige soziale Kontakte, und so war ich offen für etwas Neues in meinem Leben. Da besuchten mich eines Tages zwei UBF-Mitglieder, ein Koreaner und eine Deutsche. Beide waren sehr freundlich zu mir und luden mich herzlich und auch sehr nachdrücklich dazu ein, gemeinsam mit ihnen die Bibel zu studieren. Ich war beeindruckt von der Hartnäckigkeit, mit der besonders der Koreaner mich wegen meiner anfänglichen Zurückhaltung einlud. So vereinbarte ich einen gemeinsamen Termin für das Bibelstudium mit ihm. Ich fing an, das Johannes-Evangelium zu studieren. Dazu sollte jedesmal ein vorgegebener Fragebogen schriftlich bearbeitet werden. Anfänglich beantwortete ich nur die Fragen schriftlich und schrieb noch nicht die sogenannten persönlichen Stellungnahmen [‚Sogams‘]. Weil mein „Bibellehrer‘ (bzw. ‚Hirte‘) mich immer wieder ausdrücklich dazu aufforderte, diese Stellungnahmen zu schreiben, fing ich auch an, diese zu schreiben. Neben dem wöchentlichen Bibelstudium ging ich nun auch sonntags bei der UBF zum Gottesdienst und nahm zusätzlich an einer Tagung teil. Dadurch bekam ich die Gelegenheit, viele persönliche „Stellungnahmen‘ zu hören, und lernte selber immer besser, diese Stellungnahmen zu schreiben. Ich war beeindruckt von der Verkündigung des Wortes Gottes und vom Glauben vieler Studenten, die ich dort kennenlernte. Ich verspürte den Wunsch, Gott besser kennenzulernen und ein Jünger und Nachfolger Jesu zu werden. Diesen Wunsch hatte ich schon seit etwa meinem sechzehnten Lebensjahr, aber ich hatte bis dahin keine konkrete Anleitung bezüglich eines Glaubenslebens bekommen. Diese Anleitung erhielt ich nun in starkem Maße, wodurch sich mein Leben ganz und gar veränderte. Ich merkte, wie Gott mich zu sich zog, und nahm Jesus Christus als meinen persönlichen Heiland an. Gleichzeitig wurde ich sehr stark abhängig von der Geborgenheit und der Anerkennung der anderen in der UBF. Ich war bereit, den Forderungen nach Selbstverleugnung und Gehorsam zu entsprechen, und brach mehr und mehr meine alten, noch bestehenden Kontakte ab. Das Verhältnis zu meiner Familie wurde immer gespannter, da ich nun anfing, die Welt in einen ‚schwarzen‘ (unerlösten) und einen ‚weißen‘ (erlösten) Bereich einzuteilen. Dem schwarzen versuchte ich mich möglichst fernzuhalten. Etwa ein Jahr, nachdem ich mit dem Bibelstudium begonnen hatte, wurde ich ‚zum Mitarbeiter aufgestellt‘, d.h., ich wurde ein ‚Hirte‘ und auch als solcher angesprochen. Bei der UBF wird man ‚als Mitarbeiter aufgestellt‘, das bedeutet, daß man nicht sich selbst aktiv dafür entscheidet mitzuarbeiten, sondern daß man einer ständig in laut gesprochenen ‚Gebeten‘ geäußerten Erwartung der Gruppe entspricht. Die Gruppe entscheidet, wann ein Bibelschüler die geistliche Reife hat, selber ‚Bibellehrer‘ und ‚Hirte‘ zu werden.

Nachdem ich in den Kreis der Mitarbeiter aufgenommen worden war, füllte sich mein Terminkalender mehr und mehr mit UBF-Veranstaltungen: Frühgebet, Einladungsstunde, Zweierbibelstudium, Tagung, Gruppenbibelstudium, Sonntagsgottesdienst, Mitarbeiterversammlung, Chorprobe, Konferenzen, Bibelakademien und vieles mehr. Alles andere mußte natürlich zu kurz kommen. Einige Besonderheiten fielen mir an der UBF auf: Obwohl man vorgab, Gottes Wort in allem zu gehorchen, wurde doch z.B. kein Abendmahl gefeiert. Auch die Vorstellung von der Eheschließung kam mir etwas merkwürdig vor. Alle gingen davon aus, daß man sich den Ehepartner durch den Leiter der Gruppe zeigen lassen müßte. Das würde bedeuten, daß in allen anderen Gemeinden die Ehen nicht nach christlichen Maßstäben geschlossen würden bzw. die Ehepartner sich nicht auf Gottes Weise gefunden hätten. Ich dachte mir auch, wenn UBF wirklich eine so vorbildliche Gruppe wäre, müßte man doch mal etwas Positives über UBF lesen können. Dagegen mußte ich feststellen, daß fast nur Negatives über die Gruppe geschrieben wird, was in UBF-Kreisen natürlich als verleumderische Darstellungen bezeichnet wurde. Die Forderungen meines ‚Hirten‘ an mich wurden immer härter, und manche selbständig von mir getroffene Entscheidung wurde nicht akzeptiert. Manchmal fühlte ich mich wie in einem Gefängnis und erfuhr ungeheuer starken seelischen Druck. Immer wieder versuchte ich dann, den Fehler bei mir zu suchen und z.B. mangelnden Gehorsam oder fehlende Selbstverleugnung meinerseits dafür verantwortlich zu machen. Ich bekam immer stärkere Zweifel, ob es wirklich die Berufung Gottes war, in dieser Gruppe zu bleiben, trotz aller auftretenden Schwierigkeiten. Mir wurde klar, daß ich eine Entscheidung vor Gott, gemäß meinem Gewissen, treffen mußte. So gab ich meinen Entschluß bekannt, daß ich nicht länger bei der UBF mitarbeiten würde, obwohl ich wußte, nun in eine große Leere zu fallen. Nachdem ich meine Entscheidung gefällt hatte, versuchten einige UBF-Mitarbeiter, mich für die Gruppe zurückzugewinnen. Mein Entschluß, nicht länger in der UBF zu bleiben, wurde gleichgesetzt mit einem Verlust des rechten Glaubens an Gott.

Rückblickend gesehen, halte ich das intensive Studium der Bibel bei UBF für sinnvoll. Auch das Schreiben der Stellungnahmen mag hilfreich sein, solange es mit dem richtigen Motiv und freiwillig getan wird. Dieses zu einer gesetzlichen Forderung zu erheben, halte ich für unbegründet und seelsorgerlich für äußerst bedenklich. Es ist festzustellen, daß immer wieder die gleichen Bücher der Bibel behandelt werden, und dies in sehr einseitiger Weise. Ich halte die UBF für eine christliche Sondergemeinschaft, in der Praktiken angewandt werden, die sich mit der Frohen Botschaft Jesu Christi nicht vereinbaren lassen.“

Genau diesen gleichen Eindruck – wie ihn die Berichte der Mutter von S. sowie von Thomas zeigen – habe ich gewonnen, als ich den Sonntagsgottesdienst der UBF in Köln besuchte. Zwar wurden die Texte aus der Bibel wortgetreu vorgetragen, doch schien mir die Auslegung und Anwendung sehr gesteuert zu sein, d. h., angetan dazu, ängstliche und unterwürfige Gläubige zu schaffen.

Thomas trifft genau den Punkt, wenn er sagt, daß die Praktiken der UBF sich mit der Frohen Botschaft nicht vereinbaren lassen. Mir schienen die jungen Menschen in dem Gottesdienst sehr angepaßt zu sein, sie machten einen artigen Eindruck, zeigten manchmal sehr kindliche Reaktionen, ihr Gesichtsausdruck, ihre Körperhaltung war ähnlich, die Kleidung ausgesprochen konservativ und erweckte einen genormten Eindruck. Ich habe gelernt, die Qualität einer Bewegung auch danach einzuschätzen, ob die Individualität der einzelnen entfaltet ist. Bei UBF schien mir die Persönlichkeitsentwicklung der Mitglieder eingeschränkt, wenn nicht gar rückläufig.

Die beiden aufgeführten Beispiele sprechen in diesem Sinn eine deutliche Sprache.

Ich selbst bekam die Autorität des deutschen Leiters, Herrn Lee, deutlich zu spüren. Obwohl ich mich der Situation eines Gottesdienstes vollkommen angemessen verhielt, einfach nur dasaß und aufmerksam das Geschehen verfolgte, nach Möglichkeit versuchte mitzusingen, im anschließenden Bibelgespräch der kleineren Gruppe mich sehr bescheiden beteiligte und viel mehr hören und spüren wollte, als selbst etwas und gar noch etwas Kritisches zu äußern, separierte er mich nach dem offiziellen Gottesdienst und gab mir unmißverständlich zu verstehen, daß ich hier nicht erwünscht sei. Begründung des Herrn Lee: Ich hätte mich ungebührlich benommen, da man beim ersten Besuch in einer Bewegung keine Fragen zu stellen habe. Mein Motiv zu dem Besuch, mir selbst eine Meinung über die Bewegung bilden zu wollen, tat er als unecht ab. Er ließ sich auf kein Gespräch mit mir ein und verweigerte mir die gewünschten Informationen (mündlich und schriftlicher Art) über UBF.

Gefahren von UBF (Zusammenfassung)

  • Vereinnahmende – teils psychisch aggressive – Werbung;
  • durch das Eins-zu-eins-Bibelstudium („Hirte-Schaf“-Verhältnis) kommt es sehr leicht zur Abhängigkeit des Schafes von UBF;
  • das Ziel von UBF, die Mitglieder radikal religiös, zeitlich und sozial einzubinden, bewirkt einen ungeheuren Druck. Gezwungenermaßen wird dadurch z.B. das Studium vernachlässigt, die Beziehungen zum bisherigen Umfeld, Eltern, Freunden abgebrochen oder stark reduziert;
  • die Ehe-Partner-Bestimmung durch UBF;
  • die Erwartung totaler Bereitschaft, sich für UBF in anderen Ländern und Städten einsetzen zu lassen;
  • Behinderung der Persönlichkeitsentwicklung;
  • der Aussteigewillige hat damit zu rechnen, daß er mit psychischem Druck daran gehindert werden wird.

Die „University-Bible-Fellowship“ wird als fundamentalistische Bewegung bezeichnet.

[Anmerkung eines ehemaligen UBF-Mitglieds: Die Autorin versucht im folgenden zu erklären, was eine fundamentalistische Bewegung ist, und erweckt dadurch den Eindruck, dass Bibel-Fundamentalismus der Kern der Probleme von UBF sei. Dies mag auch zunächst so erscheinen. Wenn man die Probleme allerdings noch etwas tiefer aus christlicher Sicht analysiert, wird man zu dem Ergebnis kommen, dass in UBF eben gerade nicht die Bibel als absoluter Maßstab und Fundament genommen wird, sondern dass die Grundlage ein christlich verbrämter Konfuzianismus ist, wobei man das Bibelstudium nur als Mittel nutzt, die UBF-Philosophie zu festigen, anstatt sie kritisch anhand der Bibel zu überprüfen. Die Bibel ist in UBF nur insoweit interessant, wie sie als Mittel zum Zweck und Legitimation benutzt werden kann. Die folgenden Ausführungen sind für einen Christen sicherlich dennoch interessant, da er sich darüber klar werden muss, in welchen Bereichen er fundamentalistisch gesinnt sein muss, und inwieweit es auch Gefahren in einem falschen Verständnis von Fundamentalismus gibt.]

Was bedeutet „fundamentalistisch“?

Seit einigen Jahren taucht in der Diskussion immer häufiger der Begriff „Fundamentalismus“ auf. Man hört oder spricht vom protestantischen Fundamentalismus, islamischen Fundamentalismus, jüdisch-orthodoxen Fundamentalismus genauso wie von politischem Fundamentalismus. So denken wir dabei an die iranischen Ayatollahs, eventuell an das katholische „Opus Dei“ oder den katholischen Traditionalistenbischof Lefebvre, an amerikanische Fernsehprediger oder an die „Fundis“ der „Grünen“.

Was kann nun diesen ja vollkommen unterschiedlichen Ansätzen gemeinsam sein, so daß sie uns bei dem Begriff Fundamentalismus in den Sinn kommen? Welche übereinstimmenden Merkmale könnten vorhanden sein?

Das Wort „Fundamentalismus“ tritt zum ersten Mal zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA auf. Unter Fundamentalisten verstand man dort ursprünglich protestantische Christen, die sich gegen die neuzeitliche historische Bibelkritik und gegen die wissenschaftliche Evolutionstheorie wandten. Es kam zu einem „Kampf für die Bibel“. Aus den zwanziger Jahren stammt auch eine berühmte Liste von „Five Fundamentals“, fünf fundamentale Glaubenswahrheiten, die bis heute den echten, „historischen“ Fundamentalisten kennzeichnen:

  • Die Verbalinspiration (wörtliche Eingebung der Bibeltexte durch den Heiligen Geist) und Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift;
  • die Gottheit Jesu Christi (und insbesondere seine jungfräuliche Geburt);
  • das stellvertretende Sühneopfer Christi;
  • seine leibliche Auferstehung und
  • seine baldige Wiederkunft (meist verbunden mit sehr konkreten Vorstellungen über den Ablauf der Endereignisse).

Was wir heute als fundamentalistisch bezeichnen, ist eine Haltung, die sich seit einiger Zeit in allen gesellschaftlichen Bereichen finden läßt. Trotz aller Unterschiede sind folgende gemeinsame Kennzeichen zu finden:

  • Betonung des absoluten Wahrheitsanspruches. Der Fundamentalist verteidigt unnachgiebig und kompromißlos seine Wahrheit, seinen Glauben. Die Auffassung der anderen wird schlichtweg abgelehnt. Andersgläubige sind Ungläubige, fremde Meinungen gelten als unmoralisch. Differenzierungen werden nicht vorgenommen;
  • Ablehnung moderner Prinzipien wie Toleranz, Relativismus und Säkularismus;
  • Protest gegen jede Art von Liberalismus (also gegen Autonomie, Verantwortung und freie Entfaltung der Persönlichkeit);
  • geschlossenes Weltbild;
  • autoritative Züge;
  • vereinfachte Antworten auf die komplexen gesellschaftlichen Strukturen.

Im Bereich des religiösen Fundamentalismus sind heute charakteristisch:

  • Rückkehr zu den angeblich zentralen biblischen Wahrheiten;
  • Ablehnung und Zurückweisung der Ergebnisse der Natur- und Geschichtswissenschaften, verbunden mit einer mutwilligen Gegendarstellung;
  • Veränderung, Inkulturation und Modernisierung sind Glaubensabfall;
  • Irrtumslosigkeit der Bibel;
  • rigide Sexualmoral;
  • Dämonisierung der Welt.

Welche Gefahrenmomente sind dadurch gegeben?

Durch die Entwicklung von Feindbildern (der Andersdenkende/Andersgläubige bedeutet eine Gefahr, ist Instrument des Bösen, folglich zu meiden bzw. zu bekämpfen) kommt es meist zu einer Isolation von der „Restwelt“. Man versteht sich als die Auserwählten, die Elite, die einzigen, die übrigbleiben, wenn das nahe Weltende kommt. Immer wieder ist dabei eine ausgesprochen militante Intoleranz anzutreffen. Meist gruppiert sich eine fundamentalistische Bewegung um einen starken Führer, der angibt, von Gott selbst legitimiert zu sein. Von daher ist nicht selten Personenkult und Abhängigkeit gegeben. Da Differenzierung und psychologische Auseinandersetzung unerlaubt sind, herrscht in der Regel ein ausgeprägtes „Schwarzweißdenken“, es gibt nur das Gute bzw. das Böse. Die eigenen dunklen Seiten werden nach außen verlagert, sozusagen dem Satan angelastet. Eine Auseinandersetzung mit sich selbst und damit die Entwicklung der Persönlichkeit wird dadurch empfindlich behindert. Eigenes Denken und fragendes religiöses Suchen sind verpönt: Es gibt die Wahrheit, die steht ein für allemal fest und kann nicht hinterfragt werden. Eine fundamentalistische Sicht führt zu gesetzlichem Denken und zu moralischer Enge und hat z.B. aus christlicher Sicht mit der freimachenden Botschaft des Evangeliums nicht das geringste zu tun.

Nicht nur im Fall der UBF, wo wir es mit ausgeprägtem Fundamentalismus zu tun haben, auch bei einer Reihe anderer Organisationen, z.B. im klassischen Sektenbereich (Neuapostolische Kirche, Jehovas Zeugen) sowie in den großen Kirchen, finden wir fundamentalistische Strömungen und Bewegungen (z.B. das „Opus Dei“ in der katholischen Kirche), die mehr oder weniger Grund zur Besorgnis bieten.

quelle: https://web.archive.org/web/20030704074043/http://www.ubf-info.de/ext/cammans1998.htm